Kroatien fördert deutschsprachige Minderheit im Land

Reichhaltige Eindrücke auf einer Seminarreise in den Westbalkan

Wiesbaden:(so) Das Deutsch-Europäische-Bildungswerk in Hessen (DEBWH) e.V. veranstaltete kürzlich ein einwöchiges verständigungspolitisches Seminar aus der Reihe „Begegnung und Verständigung“ in den Westbalkan. In Zagreb, Sirač, Osijek/Esseg und Vukovar (Kroatien) sowie Pécs/Fünfkirchen (Ungarn) standen Vorträge, Gesprächsrunden und zahlreiche Begegnungen zu dem Thema „Kroaten, Ungarn und Deutsche – gemeinsame geschichtliche Erfahrungen als Grundlage für die Brückenfunktion im vereinten Europa“ auf dem Programm. Sie alle gaben vielseitige und interessante Einblicke über diese interessante europäische Vielvölkerregion und deren Kultur. So stellte gleich zu Beginn der Ständige Vertreter des deutschen Botschafters und Leiter des Wirtschaftsreferates in Zagreb, Harald Seibel, fest, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Kroatien traditionell gut seien und sich die deutsche Minderheit in diesem Land als ein sehr wichtiger Vermittler für die deutsche Kultur und Sprache repräsentiere. Und für die Wirtschaft versicherte die Geschäftsführerin Klaudia Orŝanič-Furlan in ihrem Statement, dass inzwischen über 340 registrierte Unternehmen ordentliche Mitglieder in der im Jahre 2003 gegründeten Auslandshandelskammer AHK Kroatien seien und damit die größte bilaterale Wirtschaftsorganisation in Kroatien darstelle.

Bei dem Besuch der Deutschen Gemeinschaft Zagreb stellte deren Vorsitzender Dr. Ivan Rittig seine Organisation und deren Geschichte vor und erinnerte an deren einstige Stärke als führende ethnische Minderheit. „Heute ist das eine kleine Minderheit, deren 3000 Mitglieder zum einen sog. Donauschwaben, aber auch Deutsche und Österreicher sind.“ Das Überleben und die Erhaltung dieser Minderheit sei schwierig und zeitaufwendig gewesen, aber in jüngster Zeit seien die Mitglieder zunehmend wieder öffentlich geworden und erklärten sich als Deutsche, sodass ihre Anzahl erfreulicherweise ansteige, so Dr. Rittig. Denn nach vereinsinterner Schätzung sollen noch ca. 30.000 bis 40.000 Deutschstämmige im Land leben.

Einen überaus herzlichen Empfang bereiteten die Mitglieder des Vereins der Deutschen und Österreicher den Seminarteilnehmern in der Gemeinde Sirač. Die Vorstandsmitglieder Josip Krajcer und Josip Hamp führten sie bei einer Besichtigung der ortsansässigen Grundschule, in der auch Deutschunterricht gelehrt wird, und luden danach zu einem sehr schmackhaften Mittagessen in den Vereinsräumlichkeiten ein.

Am Nachmittag dieses zweiten Seminartages ging es weiter nach Osijek, mit rd. 115.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Kroatiens. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts erlebten die deutschen Siedler in dieser historischen Region Slawoniens in der Metropole Osijek eine Blütezeit.  Sie hatten eigene Presseorgane, ein eigenes Theater, ein eigenes Schulwesen und es entwickelte sich eine eigene deutsche Literaturszene. Auch in der Landwirtschaft und im Handel waren die deutschsprachigen Bewohner führend.

Bei den tags darauf anstehenden Begegnungen im Kulturzentrum der Stadt ging es vor allem um Anliegen der deutsch-kroatischen Beziehungen und aktueller Projekte der deutschen Minderheit in Kroatien. Dabei trat besonders der Intendant des Kroatischen Nationaltheaters in Osijek, zugleich Vorsitzender der Deutschen Gemeinschaft und ehemaliger Bürgermeister dieser Stadt, Vladimir Ham (*1981) in Erscheinung und glänzte bei seinen Vorträgen mit außergewöhnlichen Kenntnissen über das kulturelle Erbe und die Aktivitäten von Angehörigen nationaler Minderheiten in Kroatien. Auf die kleine deutsche Minderheit, die im ganzen Land verstreut ist und auch vom Staat unterstützt werde, sei er übrigens besonders stolz, weil sie es durchaus verstehe, mit ihren umfangreichen Aktivitäten die übrige Gesellschaft erkennbar zu beeinflussen. Und vor allem würden auf dem Gebiet der Erhaltung der deutschen Sprache in Kroatien durch die Deutsche Gemeinschaft große Bemühungen getätigt.  

Am vierten Seminartag ging es zu der Deutschen Gemeinschaft in der an der Donau gelegenen Grenzstadt zu Serbien, Vukovar. Diese Region war während des sog. Heimatkrieges (1991 – 1995) das am stärksten umkämpfte Gebiet. Damals wurde Vukovar durch die Jugoslawische Volksarmee weitgehend zerstört.

Die unter Marina Tufekčić geleitete ortsansässige Deutsche Gemeinschaft stellte sich im Vereinsheim am Donauufer vor. Dabei kamen vor allem die heute noch bestehenden Spannungen zwischen Kroaten und Serben zur Sprache. Dies resultiert vor allem daraus, dass bis heute das Schicksal von 1.800 kroatischen Bürgern immer noch ungeklärt sei. Der Nachmittag dieses Tages galt einer Besichtigung des vom Wiener Architekten Viktor Siedek erbaute wunderschöne barocke Schloss Eltz – Einst Heimat einer deutschen Fürstenfamilie und heute historisches Museum.  

Sehr berührend und emotional war der Besuch der Gedenkstätte Ovčara in der Nähe von Vukovar am Schluss dieses Tagesprogramms. Nach Schilderung der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien trieben bei diesem Massaker am 20. November 1991 serbische Einheiten 255 Kroaten und andere Nicht-Serben aus dem Krankenhaus in Vukovar zusammen und transportierten sie zunächst auf eine Farm nahe der Ortschaft Ovčara. Dort wurden sie anschließend stundenlang gefoltert, erschossen und im angrenzenden Ackergelände vergraben.

Das einwöchige Seminarprogramm endete mit einer Tagesfahrt zur deutschen Minderheit in die ungarischen Universitätsstadt Pécs/Fünfkirchen.  Dort fand ein herzlicher Empfang im Valeria-Koch-Bildungszentrum mit Institutionsleiterin Agnes Amrein-Pesti statt, bei dem die Seminarteilnehmer Wissenswertes über das aktuelle deutschsprachige Kulturleben in dieser Stadt, dem Zentrum der Donauschwaben in Ungarn, erfuhren. Es schloss sich ein rd. zweistündiger interaktiver Stadtrundgang unter Führung des Historikers Janos Habel an. Die Fahrt zurück nach Osijek wurde am Spätnachmittag für eine Weingutbesichtigung mit anschließendem Abendessen im ungarischem Weindorf Villany unterbrochen: Das Weingut Bock weist donauschwäbische Wurzeln auf und konnte nach der Deportation und Enteignung inzwischen zum Winzerimperium in Südungarn werden.

Diese informative Seminarreise, die auch der politischen Weiterbildung diente und deshalb in Hessen als Bildungsurlaub anerkannt war, stand unter Leitung des Vorsitzenden des Deutsch-Europäischen-Bildungswerk in Hessen e.V., MdL a.D. Siegbert Ortmann, der Geschäftsführerin dieser Organisation Agnes Maria Brügging-Lazar und dem Vorstandsmitglied Dipl. Päd. Ewa Redemann. Zudem stand auch die Projektleitung und DaF-Lehrkraft Hanna Klein von der Deutschen Gemeinschaft in Osijek, sowohl während der Planung als auch an den Seminartagen als sachkundige Gesprächspartnerin ständig zur Verfügung und trug somit endscheidend zum Erfolg dieser Veranstaltung bei.